Seiter: Ohne Menschen, die zupacken, brauchen wir über künftigen Wohlstand nicht zu reden
„Wo kommen die kleinen Kinder her? Reproduktionstechnisch ist das keine Frage für den FDP-MdB Professor Dr. Seiter: Der Fellbacher hat mit seiner Frau zwei erwachsene Söhne. Produktionstechnisch aber für den gelernten Volkswirtschaftler schon: „Ohne Menschen, die zupacken und unseren hohen Wissenschafts- und Produktionsstandard halten, brauchen wir über einen gesicherten künftigen Wohlstand nicht zu reden.“ Das Thema zieht sich wie ein roter Faden durch seine Treffen mit Menschen aus der Praxis im Rems-Murr-Kreis (und darüber hinaus), die er in den letzten Tagen hatte: „Sommertour“ nennt sich das im Polit-Deutsch. „In der Wissenschaft nennen wir das Exkursion, einen Lernausflug“, der Theorie und Praxis miteinander vereint, sagt der Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der FDP-Fraktion im Bundestag und gelernt hat er, dass „in der allgemeinen politischen Diskussion die Frage, wo kommt das Geld für die Zukunft unserer Kinder her, recht nachhaltig unterschätzt wird.“
Das gilt allerdings ausdrücklich nur für die „allgemeine politische Diskussion“. Für die Gesprächspartnerinnen und Partner, die er in den letzten Tagen getroffen hat, „gilt das ausdrücklich nicht, die haben alle ein hohes Kompetenzlevel“. Mit Marc Dressel, zum Beispiel, Leiter der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz und Vertreter der verbandlichen Caritas gegenüber der politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Öffentlichkeit, „habe ich schnell einen gemeinsamen Draht gefunden.“ Basis: „Das ist eine Organisation, die gesellschaftliche Probleme nicht nur dem Staat überlässt, sondern selber einen Beitrag leistet.“ Womit der rote Faden gefunden wäre: „Die Caritas macht Integrationskurse und sieht diese als Investition in die Zukunft an. Das Bewusstsein des Staates für die wirtschaftliche Bedeutung dieser Arbeit, ist noch ausbaufähig.“ Knackpunkt, wieder einmal das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern: „Wir haben uns über Optimierungsmöglichkeiten der Abläufe unterhalten – und da lässt sich noch einiges tun, um Menschen ohne deutschen Pass schneller in Arbeit zu bringen. An der Caritas liegt’s nicht.“
Bei der Schnaithmann Maschinenbau GmbH in Remshalden konnte er das gleich in der Praxis testen: „Der erfolgreiche Maschinenbauer ist ausgesprochen kreativ, was die Nachwuchs- und die Beschäftigtenbindung angeht.“ Dazu zählen beispielsweise, neben Gesundheitsprogrammen, die eine Vielfalt an Möglichkeiten von Yoga über Power Plate bis hin zu kostenlosen Massagen bieten (Internetseite). Angebote zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten. Nicht ganz 40 Auszubildende hat das Unternehmen, rund 250 Beschäftigte insgesamt: „Ich habe mitgenommen, dass es auf beiden Feldern gerne noch ein paar mehr sein dürften und dass es vor allem darauf ankommt, genügend qualifizierte und leistungsbereite Menschen zu finden.“
Diese hat auch die Arbeitsagentur in Waiblingen im Fokus: „Sie ist an einem bundesweiten Pilotprojekt beteiligt, das zum Ziel hat, die Leute, die man wirklich braucht, schnell in den Arbeitsmarkt zu bringen.“ Das lief im Mai, nennt sich Job-Turbo und Arbeitsminister Hubertus Heil bekam von der Koalition im Haushalt 2024 extra Geld dafür, hier einen Zahn zuzulegen, erinnert sich Stephan Seiter an die Vorgeschichte. Woran hapert’s? „Nicht an der Bereitschaft der Agenturbeschäftigten, sondern an den rechtlichen Rahmenbedingungen.“ Sprich, die Bürokratie zur Anerkennung von beruflichen Abschlüssen oder erworbenen praktischen Qualifikationen hemmt. Außerdem seien drei Tage im Mai nun auch nicht gerade ein Dauerangebot. Da seien Kommunen, IHK und Handwerkkammer in der Region Stuttgart mit ihrer neuen Kooperation, die die Abläufe beschleunigen soll, schon weiter. Stephan Seiter bringt’s so auf den Punkt: „Wir müssen den hohen Standard unserer Berufsausbildung sichern, keine Frage, Gesellen- und Meisterbrief sind ein hohes Gut. Aber Qualifikationen lassen sich auch über Prüfungen nachweisen, bei denen die Gewerke ja ohnehin die Schlüsselrolle spielen oder im akademischen Bereich entsprechende Methoden vorhanden sind. Da ist zu fragen, ob das System nicht vom Kopf auf die Füße zu stellen wäre.“ Wie? „Beispielsweise ein Kompetenzcheck zum Einstieg in das weitere Verfahren, in dem Wissensstand und Fertigkeiten geprüft und eingeordnet werden.“ Für mich als Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der FDP-Bundestagsfraktion ein besonders interessanter Aspekt der Tour durch die arbeits- und produktionswirtschaftliche Realität unserer Volkswirtschaft.“
Aber löst denn die KI (Künstliche Intelligenz) nicht alle Probleme? Und ersetzt der Roboter (tschechisch für Arbeiter) nicht den menschlichen Kollegen? Aber sicher nicht, heißt das Fazit nach dem Besuch bei Bosch Healthcare Solutions in Waiblingen, dem Gespräch mit Marc Meier, Geschäftsführer, und Dr. Jochen Rupp, Director of Market Access and Governmental Communication plus Rundgang durch die Produktion. Stephan Seiter: „Hier werden für Krankheiten Testverfahren und -techniken entwickelt, die aufgrund ihres hohen Standardisierungsgrads einfach zu handhaben sind. Die Produktion läuft mit hohem Automatisierungsgrad ab. Ein weiteres Beispiel wie im Rems-Murr-Kreis Produkte für die Welt auf absolutem Spitzenniveau produziert werden.“ Aber eben nicht ohne menschliches Zutun: Die „ausgeschriebene Masterarbeit ‚Identifikation von Anwendungsfällen für KI im Fertigungsumfeld‘ zeigt, wie der Hase läuft“, sagt Stephan Seiter: „Der Mensch denkt und zeigt der KI den Weg, der Roboter robotet.“
Womit wir wieder beim Einstieg wären. Denn zur Frage wo kommen die kleinen Kinder her, kommt nach wenigen Monaten auch die Frage, wo können die Kleinen hin, wenn Mama und Papa das Bruttosozialprodukt (und das Familieneinkommen) steigern wollen. Kita, logisch. In Remshalden gibt es eine, die hat ihn ganz besonders beeindruckt. Nicht nur wegen der Wohlfühlatmosphäre, sondern wegen der technischen Innovationen, die bei einem solchen Neubau heute möglich sind („die produzieren nebenher auch Strom“). Und rumms, landet das Ganze schon wieder auf dem Boden der politischen Realität: „Der Bund hat ja ein Programm aufgelegt, mit dem er den Bau von Kitas fördert, obwohl das Länderaufgabe ist. Das Land hat 105 Millionen Euro im Haushalt bereitgestellt. „Unbürokratisch ist das ganze Prozedere nicht gerade. Vor allem aber kauft die Kommune die Katze im Sack, solange bis das Geld auf dem Konto ist: Denn was steht in der Anlage 2 zu Nummer 5.1 zu § 44 LHO: Der Zuwendungsgeber behält sich vor, nachträglich eine Auflage aufzunehmen, zu ändern oder zu ergänzen. Das wäre so, als würde man ein Haus kaufen, der Verkäufe behalte sich aber vor, je nach dem das Dach auch weglassen zu können.“