MdB Stephan Seiter (FDP): Falsche Energiestrategie rächt sich jetzt
„Keiner hat etwas davon, wenn wir unsere Wirtschaft gegen die Wand fahren“, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Seiter aus Fellbach mit Blick auf den Energiebedarf der Industrie im Rems-Murr-Kreis, den Krieg in der Ukraine und die neuesten Schreckensmeldungen über getötete Zivilsten. Und er benennt gleich die Ausnahme: „Außer Putin, der dann den Westen tatsächlich in die Knie gezwungen hätte, wenn wir ihm ins offene Messer laufen.“ Putins Strategie ziele darauf ab, „eine Empörungswelle auszulösen, die uns kopflos reagieren und zu Maßnahmen greifen lässt, die uns mehr schaden als ihm, um so aus der sich abzeichnenden Niederlage noch einen Sieg für sich zu machen.“ Wie wichtig vor allem Erdgas als Energieträger ist, lässt sich am Energieverbrauch der Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes zeigen, die von den Firmen mit mehr als 20 Beschäftigten im Rems-Murr-Kreis jedes Jahr zu melden ist: „Runde 3.312 Millionen Megajoule (das sind rund 920 Millionen Kilowattstunden) im Jahr waren zuletzt allein für die Energieversorgung der hiesigen Industrie nötig und kamen über verschiedene Energieträger zusammen“, zitiert Stephan Seiter, gelernter Professor für Volkswirtschaft, aus den Daten, die in der Regionaldatenbank Genesis des Statistischen Bundesamtes und der Landesämter verfügbar sind. Verfügbar ist der Energieverbrauch bis Ende 2020: „Derzeit werden erst rund 53,5 Prozent des Energiebedarfs der Industriebetriebe im Rems-Murr-Kreis per Strom gedeckt. Für den Rest brauchen die Firmen fossile Energieträger und damit auch russisches Gas oder Öl.“
Aufgeteilt auf die im Rems-Murr-Kreis verwendeten Energieträger ergibt sich aus den gemeldeten Daten folgendes Bild: Kohle spielt für die direkte Energieversorgung der Betriebe keine Rolle. Erdgas trägt 1.067,80 Millionen MJ bei und hat damit einen Anteil von 32,24 Prozent. Heizöl liefert 357,76 Millionen MJ (10,8 Prozent). Fernwärme ist als Energieträger im Rems-Murr-Kreis für die Betriebe nicht relevant. Mit runden 1.773 Millionen Megajoule (umgerechnet rund 492 Millionen Kilowattstunden) ist Strom im Energiebudget vertreten (53,53 Prozent). Darin sind Stromarten aus allen Quellen vom Windrad bis zum Atomkraftwerk Neckarwestheim enthalten: „Beim aktuellen Strommix in Deutschland kommt auch hier noch über die Hälfte aus Kraftwerken, die mit Erdgas, Stein- und Braunkohle oder Kernbrennstoff betrieben werden.“ Windkraft, Photovoltaik, Biomasse und Wasserkraft hatten nach den Daten des Fraunhofer-Instituts zuletzt einen Anteil von 45,7 Prozent. Biomasse steckt auch in den Meldungen aus den Betrieben über den Energieträger ‚erneuerbare Energien‘. Im Rems-Murr-Kreis hat diese Energieklasse 35,03 Millionen MJ erreicht. Aber damit ist kein Strom aus Wind, Wasser oder Sonne gemeint. Statistisch umfasst der Begriff ”erneuerbare Energiequellen” beispielsweise Holzreste, Sägespäne, Pellets, Schwarzlauge, Tiermehl, Stroh, Pflanzenöle, Methanol, Biogas, Klärgas, Deponiegas, aber auch die Energie aus Wärmepumpen. Zu den genannten Zahlen kamen bis Ende 2020 in der Erfassung 78,56 Millionen MJ Energie aus nicht näher definierten Quellen.
Stephan Seiters Fazit: „Wir stecken eindeutig in einer Energiezwickmühle, in die uns eine Energiepolitik manövriert hat, die oft Wunsch und Wirklichkeit verwechselt hat. Jetzt bleibt uns nur übrig, die vorhandene Abhängigkeit mit Augenmaß Stück für Stück zu verringern und dazu müssen wir die Stromproduktion möglichst effektiv erhöhen, denn die Produktionsprozesse müssen weiterlaufen. Putin setzt eindeutig darauf, dass er unsere Wirtschaft ausschalten kann, wenn er den politischen Druck erhöht. Wir müssen uns davor hüten, ihm in diese Falle zu gehen, auch wenn die Bilder aus der Ukraine schlimm sind. Aber wir dürfen nicht vergessen, schuld an den Opfern ist nur einer: Putin.“
Die Operation „Putin raus aus der Energieversorgung“ laufe bereits und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen mache einen guten Job: „Jeden Tag werden die russischen Lieferungen weniger und durch andere ersetzt.“ Stromspartipps wie „weniger duschen oder selbst ein Tempolimit“, stuft der Professor dagegen als „marginale Maßnahmen ein, die angesichts des riesigen Energiebedarfs unserer Industrie wenig bringen und es ist ja nicht nur die Industrie. Es geht um alle Unternehmen, die über Produktion und Dienstleistungen unseren Wohlstand sichern.“ Aber nicht nur um die. „Jede vierte Wohnung, die 2020 im Rems-Murr-Kreis fertiggestellt wurde, hatte eine Gasheizung. Und jede vierte, die 2020 genehmigt wurde, sollte eine bekommen. Da ist vermutlich nur in Einzelfällen noch etwas zu ändern – und das verschärft die Energiezwickmühle zusätzlich, aber ausweglos ist die Lage nicht, wenn wir uns nicht zu Fehlern verleiten lassen.“